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Tagesbericht vom 29.07.2004

Ich weiss auch nicht, warum es immer mich trifft. Aber meist wenn wir viel erleben, bin ich an der Reihe, den Tagebucheintrag zu verfassen. Und damit nicht genug. Da ich auch noch von der vergangenen Nacht erzählen muss, trifft es mich doppelt. Also das war gestern Abend so: Wir sitzen nach dem Essen gemütlich im Sir James, als zwei junge Männer zu Fuss vorbeikommen. Sie sagen irgendetwas mit lauter Stimme. Da wir nicht sicher sind, ob sie nüchtern sind, antworten wir aus dem geschlossenen Sir James, wir seien aus der Schweiz und wir würden kein russisch verstehen. Sie reden weiter auf uns ein, wir sagen erneut, dass wir nichts verstehen. Nach einer Weile ziehen sie weiter. Wir legen uns schlafen. Es ist 22.30 Uhr. Kaum im Bett – draussen ist es dunkel – kommen die beiden Jungs wieder zum Auto. Sie rufen und palavern wieder drauflos. Wir reagieren nicht. Irgendwann entfernen sie sich. Doch sie lassen uns nicht in Ruhe. Gegen Mitternacht kommen sie zurück und zünden mit einer hellen Lampe in Sir James hinein. Sie rufen, rütteln an Sir James – wir geben erneut keinen Laut von uns. Irgendwann wird es ihnen zu blöd und sie trotten davon. Wir halten kurz Kriegsrat. Nein, jetzt mitten in der Nacht weiter zu fahren hat keinen Sinn. Aber Morgen wollen wir frühzeitig losfahren.
Und das tun wir auch. Bereits um 06:30 Uhr sucht Sir James wieder den Weg zurück auf die M-55. Es ist nur gerade –1 Grad Celsius. Kaffee gibt es erst ein paar Kilometer weiter an einer Ausweichstelle an der Hauptstrasse. Diese Episode wäre überstanden.

Weiter geht die Fahrt auf recht guter Strasse, leicht bergauf und bergab, einmal durch bewaldetes, dann wieder durch steppenartiges Gebiet. Wir sind erstaunt, wie relativ dicht besiedelt es entlang der Hauptstrasse ist. Etwa alle dreissig Kilometer stossen wir auf ein mehr oder weniger grosses Dorf. Um die Mittagszeit gönnen wir uns einen ausserordentlichen Luxus: Wir schalten einen Mittagshalt ein und Bobo kocht eine Nudelsuppe!
Nach 410 Kilometern Fahrt treffen wir in Tschita ein. Tschita, eine Stadt mit etwa 400'000 Einwohner, ist die letzte grössere Siedlung vor Chabarowsk. Soweit wir uns in der Schweiz orientieren konnten, fehlen zwischen Tschita und Chabarowsk (insgesamt eine Distanz von rund 2'500 Kilometern) einige hundert Kilometer ‚Strasse'. Dieses fehlende Stück müsste überwunden werden, um nach Wladiwostok per Auto zu gelangen ohne das Fahrzeug für eine gewisse Strecke auf den Zug zu verladen. Wir sind gespannt.
Und was erblicken wir zufällig am Strassenrand? Einen Meilenstein mit der Aufschrift: „Tschita 0 Km – Chabarowsk 2165 Km“. Weiter ist eine Inschrift angebracht die wir so verstehen, dass die Arbeiter diese Strecke im Februar 2004 eröffnen konnten. Unser richtiges Abenteuer kann beginnen ...

Zuerst möchte Sir James aber wieder einmal frisches Öl. Wir stossen auf eine super Garage. Leider ist die Einfahrt zu wenig hoch für Sir James. Aber der Chef der Garage weiss sich zu helfen. Fluchs lässt er Luft aus den vorderen Pneus von Sir James. Auf wackeligen Füssen, dafür nicht mehr zu hoch, fährt Sir James durch das Garagentor.

Wir erfahren, dass wir unsere Uhr bereits wieder um eine Stunde vorstellen müssen. So vergeht die Zeit wirklich viel zu schnell. Kurz vor Geschäftsschluss beziehen wir am Bankomaten noch Geld und kaufen im modernen Magnit (Supermarkt) ein, was wir dringendst für die nächsten geschäftslosen Tage benötigen. Weil es schon spät ist, fahren wir aus der Stadt irgendwo aufs Land (Position Nord 51° 59' 4.7“ und Ost 113° 10' 43.7“). Morgen werden wir in die Stadt zurückkehren und uns auf dem Markt noch mit Frischwaren eindecken. Und, was uns sehr wichtig erscheint, wir werden eine Strassenkarte für die anscheinend neu existierende Strasse zu kaufen versuchen. So hat Bobo morgen bestimmt auch wieder etwas zu berichten. Nein, langweilig wird es uns nicht.

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