Tagesbericht vom 19.06.2004
Gut bewacht haben wir die Nacht verbracht. Nein, nicht von der Polizei, sondern von Tausenden von Sternen am mondlosen Himmel. Herrlich.
Früh weckt uns die Sonne. Und weil wir so früh dran sind, nehmen wir uns die Zeit, Sir James am nächsten Bergbach mit Frischwasser zu versorgen. Aber der Versuch misslingt. Die Saugleistung der Pumpe ist zu schwach. Wir fahren weiter zu einer uns günstiger erscheinenden Stelle. Die Prozedur zieht sich hin. Die Luft will einfach nicht aus dem Schlauch. Und mit Luft im Schlauch hat es keinen Platz für Wasser. So viel verstehe ich. Ich verhalte mich sehr ruhig. Ich merke, dass Bobo dies und das ausprobiert. Sogar die Pumpe baut er aus, um sie stärker einzustellen. Wie sich herausstellt, ist sie schon auf Vollleistung eingestellt. Nach einer Stunde pröbeln tröpfelt endlich Wasser durch die Leitung. Während das Wasser langsam durch die Filter fliesst vertreiben wir uns die Zeit mit Jassen. Das ist zwar zu Zweit nicht sehr spannend, aber dank meinen Jasskenntnissen sehr amüsant. Nach einer weiteren Stunde entschliessen wir uns zur Weiterfahrt. Wir werden versuchen, heute Abend am Rastplatz Sir James über Nacht mit Wasser zu versorgen.
Nalcik heisst die nächste grössere Stadt. Nalcik, mit etwa 300'000 Einwohnern, ist die Hauptstadt der Kabardino-Balkariya Republik. Das Zentrum macht auf uns einen gepflegten Eindruck. Natürlich nur im Vergleich mit anderen russischen Städten, die wir bis jetzt besucht oder durchfahren haben. Im Stadtzentrum finden wir den im Lonely Planet erwähnten Supermarkt. Wahrscheinlich hätten wir ihn selbst nie entdeckt, ist er von Aussen doch wirklich unscheinbar. Aber drinnen können wir (ausser einem Sticker für Sir James, den wir immer noch vergeblich suchen) alles kaufen, was wir uns wünschen. Sogar eine Abteilung mit Frischfleisch gibt es. Zwar ist die Auswahl nicht gross, aber mehr als ein Kilo Rindsbraten brauchen wir nicht. Für dieses Kilo bezahlen wir den Gegenwert von zehn Litern russischem Dieselöl, nämlich 100 Rubel, umgerechnet 5.-- CHF! Man stelle sich solche Verhältnisse in der Schweiz vor.
Die nächste grössere Stadt heisst Vladikavkaz. Vergeblich suchen wir die als Wahrzeichen dieser Stadt geltende Moschee. Vladikavkaz seinerseits ist die Hauptstadt der Republik Nord Ossetia. Im Zweiten Weltkrieg war der Vormarsch der Deutschen in dieser Gegend gestoppt worden. 1992 erklärte die russische Duma Inguschetiya für unabhängig. Darauf kam es zu einer blutigen Auseinandersetzung zwischen den Inguschetiern und Ossetiern.. Viele Inguschetier starben oder flohen. Heute leben sie teilweise wieder hier, in äusserst ärmlichen Verhältnissen. Wir glauben, wir geraten in eine solche Gegend. Der Strassenzustand verschlechtert sich plötzlich. Wir kommen zu einer Strassensperre. Wir werden vom bewaffneten Militär kontrolliert und registriert. Wir fahren vorbei an kleinen Wellblechhütten. Ein Wasserhahn an der Strasse ist wahrscheinlich die einzige Wasserversorgung von diesem Gebiet. Nach einer kurzen Strecke wiederholt sich das Ganze. Wieder ein Militärposten, der von uns Genaueres wissen will. Dann wird die Strasse wieder besser. Doch noch haben wir nicht alles überstanden. Diesmal werden wir von einem Polizisten angehalten. Was er will und was er auf uns einredet, verstehen wir nicht. Ist vielleicht auch besser so. Schlussendlich, als er merkt, dass wir ihn wirklich nicht verstehen, lässt er uns ziehen. Zu den übrigen Kontrollen des heutigen Samstag nur noch so viel: Wir haben den Eindruck, dass es noch mehr Polizeikontrollen gibt als gestern. Wir schätzen, dass wir etwa an zehn Posten vorbei gekommen sind, von denen haben uns vier kontrolliert. Daneben gibt es auch noch die Polizei, die die Geschwindigkeit der vorbeifahrenden Autos überprüft. Diese Gendarmen stehen mit ihren Messpistolen meist irgendwo versteckt: hie und da auch an Stellen, wo es wegen des schlechten Strassenzustandes unmöglich scheint, zu schnell zu fahren. Beschäftigung muss sein. Oder liegt es daran, dass wir nur etwa achtzig Kilometer von Groznyy, der Hauptstadt von Tschetschenien entfernt sind? Aber dort wollen wir nicht hin. Heute genügt uns die Position Nord 43° 26' 41.6“ und Ost 44° 45' 31.0“ um zu übernachten. Wir sind froh, hinter einer Buschreihe versteckt Sir James parken zu können. Wassernachschub gibt es leider keinen, dafür geschnetzeltes Rindfleisch mit Reis. Natürlich gibt es vorgängig noch den obligaten Tomatensalat. Die Tomaten vom Markt munden hier übrigens noch wie richtige Tomaten und sind nicht nur ein wässeriges Etwas wie zu Hause!