Reisebericht

Tagesbericht vom 23.05.2002

Morgenstund hat Gold im Mund. Wir stehen vor den Bettlern in Mumbai auf... die Strassen sind leer, als wir Sir James beladen. Etwas in den Magen stopfen – schliesslich ist das Morgenessen im Schlafpreis inbegriffen – und endlich können wir um 08:00 Uhr durch die erwachenden Strassen von Mumbai fahren. Diese füllen sich zwar zusehends, vom täglichen Wirrspiel merken wir jedoch zu dieser Stunde noch wenig. Bobo ist einmalig, wie er mich – ohne GPS – durch die Strassen von Mumbai manövriert. Der Stadtplan hilft nur wenig, sind doch in diesem nur die wichtigsten Strassen eingezeichnet. Und da die Orts- und Strassennamen in Indien oft wechseln, sind sie auf der Karte falsch angegeben.
Wir fahren nordwärts gegen New Delhi zu. ‚no hurry, no curry, no worry', heisst es auf einem Strassenschild.
Wer spricht da von ‘hurry'. Die Nationalstrasse No. 1 ‚Bombay – New Delhi' hat den Ausbaustand der ‚Ofenpassstrasse'. Es gibt allerdings einen grossen Unterschied: auf der Ofenpassstrasse fahren keine Rikschas, keine doppelspännigen Ochsenwagen, nur Autos mit Vollausbau (z.B. Rückblickspiegel oder funktionierende Blinker) und keine Lastwagen mit über 50 Tonnen Gesamtgewicht. Und die Fahrdisziplin: wenn man bremst, wird man überholt, wenn man Gas gibt, wird man überholt (zum Glück besitzt Sir James einige Muskeln), wenn man abbiegt, wird man überholt, es ist zum verrückt werden. Und die Strassenränder: alle paar Kilometer liegt eine bunt bemalte, lottrige Lastwagenleiche im Strassengraben.

Jetzt müssen wir auch noch ‚Hindi' lernen. Es wird immer seltener, dass etwas in Englisch angeschrieben ist. Wie hat unser Taxifahrer in Mumbai gesagt: er brauche keine Karten, er frage die Personen an der Strasse, wo der Weg durchführe. Das machen wir auch. Aber sie scheinen uns schlecht zu verstehen (oder liegt es an uns?): liegt jetzt ‚Aurangabad' vorne, hinten, links oder rechts? Die Erfahrung zeigt, dass erst wenn vier verschiedene Gruppen von Leuten befragt werden und mindestens drei Gruppen sich auf den gleichen Weg geeinigt haben, dass man diesen auch einschlagen kann.
Zum Glück habe ich gestern noch eine Strassenkarte über Indien digitalisiert und kalibriert. Wir wissen auf dieser Karte auf den Zentimeter genau wo wir sind. Nur leider ist der Massstab so gross 1: 4 Mio., so dass 1 Zentimeter doch 25 Kilometer beträgt! Wie schön ist es doch, wenn Karten einigermassen mit der Natur übereinstimmen.
Ah, die Temperatur ist auch ein bisschen angestiegen: bis knapp 40°. Aber es ist weniger feucht und sehr angenehm: im gekühlten Sir James.
Der Sir James steht jetzt an der Koordinate Nord 19° 52' 33.3“ und Ost 75° 21' 33.3“ vor dem Hoteleingang (wie wir das im unteren, linken Drittel des Quadranten auf die Zehntelsekunden genau schaffen konnten, verstehe ich auch nicht); wir sind im zweiten Stock im Zimmer 33,3 (das ist natürlich Unsinn) und das Hotel meint, es heisse ‚Rama International' und gehöre zur ‚Welcome Group'. Die Neuigkeiten erfahren wir soeben über ‚BBC World'. Immer dasselbe... da erleben wir schon mehr... Und der Busch, der soll doch zu den Buschmännern reden und nicht zu den Europäern...
Es ist interessant, endlich in Indien über Land zu fahren. Natürlich vergleichen wir die neuen Eindrücke mit denjenigen von Afrika. Die Inder auf dem Land leben ganz ähnlich wie die Afrikaner in den abgelegeneren Gebieten. Die Behausungen gleichen sich. Allerdings sind die Hütten der Inder nicht rund sondern eckig gebaut. Viele Häuser sind, wenn nicht mit Wellblech, dann mit Stroh bedeckt. Wasser wird mit Kübeln aus einem grossen runden brunnenähnlichen Gebilde geholt. Was die Inder jedoch stark von den Afrikanern unterscheidet ist ihre Geschäftigkeit. Viel seltener sehen wir Inder einfach herumsitzen; jeder werkelt irgendetwas. Ein weiterer, sehr grosser Unterschied ist die Motorisierung der Inder. Der Verkehr ist enorm.
Sir James fällt im Verkehrsgetümmel überhaupt nicht auf. Wo wir hinkommen steht sofort eine Traube von Menschen um uns herum. Alle möchten Sir James von innen betrachten: ich glaube so könnten wir ins Geschäft kommen...

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