Tagesbericht vom 27.07.2002
Wunderschön romantisch ist dieser Camping im Mount Baker National Park. Der dichte Wald erinnert mich an das Märchen von Hänsel und Gretel. Nur das Knusperhäuschen ist kein Hexenhaus sondern eine ‚Knebelscheisse', ohne Wasser, ohne Licht, aber sauber. Weil wir heute keinen Termin wahrzunehmen haben, stehen wir freiwillig schon um 07:00 Uhr auf. Das Wetter ist wie schon in den letzten Tagen grau in grau. Zudem ist es im Wald recht feucht. An die kühleren Temperaturen haben wir uns auch schon gewöhnt. Dank den langen Ärmeln an den Pullovern haben die Insekten zudem weniger Angriffsfläche. So hat alles seine Vorteile. Ich frage mich nur, wie sie an meinen Po gelangt sind. Der ist doch immer zugedeckt – ausser im Knusperhäuschen.
Um 09:00 geht es weiter. Wir sind froh, dass Sir James wieder voll reisetüchtig ist. So können wir die Fahrt in der prächtigen Landschaft voll geniessen. Die Strasse führt, teilweise nur als Naturstrasse, durch den dichten Mischwald. Nicht einmal das GPS empfängt ein Signal. Das Gebiet des National Park unterscheidet sich von der übrigen Landschaft dadurch, dass die Natur im Park seit Jahren sich selbst überlassen wird. Gehölz und Baumstämme liegen kreuz und quer am Boden. Dichtes Gebüsch und grosse Farnsträucher überwuchern den Boden. Viele Bäume sind von einer dicken Moosschicht bedeckt. Hie und da führt die Strasse einem Wildwasser entlang. Die Region gleicht der Strecke Landquart – Klosters.
Endlich, in Marblemount, gibt es einen der Tankstelle angegliederten Foodstore. Wir decken uns mit Mücken-Killer-Spray, Cola und Diesel ein. Knuspriges Brot suchen wir vergebens. Auf dem Parkplatz nähert sich eine Amerikanerin Sir James. „Where are you guys from? Are you a surgery team, (wahrscheinlich wegen unserer Schweizer Fähnchen) or do you work for a newspaper?” Nein, nein, antworten wir, wir seien auf einer Weltreise und ganz ‚normale Menschen'. „Oh no“, meint sie, „you are far from normal!” Recht hat sie wahrscheinlich!
Nach einigen Kilometern Fahrt serviert Bobo wieder einmal eine Nudelsuppe zum Mittagessen. Wie in alten Zeiten, wie in Afrika.
Nach Diablo windet sich die Strasse aufwärts. ‚North Cascades' heisst es hier. Zu recht. Es reihen sich mehrere Stausees treppenartig aneinander. Die umliegenden Bergspitzen sind teilweise schneebedeckt. Auch dem Wetter scheint es zu gefallen. Endlich scheint die Sonne wieder und es ist angenehm 21°C warm (auf 820 Meter über Meer).
Weil wir, warum weiss eigentlich niemand, den Ort des gesuchten Campingplatzes nicht mittels GPS ermitteln, gibt es eine kleine Irrfahrt (diesmal ohne Fluchen). Doch dann treffen wir am Lake Wanakut ein. ‚The Coffee Garden' heisst der Campingplatz. Tatsächlich, es hat ein kleines Restaurant, einen kleinen Swimmingpool, ein Spielzimmer und einen grossen See. Und dies alles an Position Nord 48° 36' 15.40“ und West 121° 21' 53.09“ in der Nähe von Orville, ca. 20 Kilometer südlich der Kanadischen Grenze. Nach dem Nachtessen, es gibt Kopf- und Tomatensalat und Tortellini, möchte ich den zweiten Coleman Kocher, der schon vor Monaten seinen Geist aufgegeben hat, flicken. Was Bobo in Namibia konnte (siehe Eintrag vom 29. März), kann ich bestimmt auch. Bobo instruiert mich und ich mache mich an die Arbeit. Aufschrauben, das geht; Draht aus dem Röhrchen ziehen, geht auch; Röhrchen durchblasen, geht nicht. Draht wieder in das Röhrchen einschieben, geht ebenfalls nicht. Um den Schaden nicht noch zu vergrössern, übergebe ich die Reparaturarbeit Bobo. Er hat eine Eselsgeduld. Die soeben beschriebenen Arbeitsvorgänge wiederholt er während drei Stunden fünfzehn Mal. Nach jedem Durchgang kommt die bange Frage: Brennt er jetzt, oder brennt er nicht. Um 23:00 Uhr, um uns herum schlafen alle schon längst, hat Bobo es geschafft. Der Kocher brennt. Super! Ich gratuliere ihm, bin stolz. Doch dann brennt er noch mehr, er brennt zu gut, er brennt lichterloh. Und nun ist er endgültig kaputt, der Kocher. Jetzt haben wir wieder einmal nur noch einen funktionstüchtigen Kocher. Denn der MSR-Kocher erfüllt seinen Dienst auch nicht mehr und für den Gaskocher gibt es hier keine Patronen. Aber weil Bobo so viel Ausdauer hat (und mir wahrscheinlich beweisen will, wie geschickt er eigentlich ist) repariert er anschliessend den MSR-Kocher. Um 24:00 Uhr wissen wir: morgen gibt es Schinken mit Ei. Wir legen uns beruhigt schlafen..